Wissenskonstruktion mit Wikis
¶ 1 Leave a comment on paragraph 1 0 Theoretische Zugänge und Konsequenzen für die Schule
Inhalt
¶ 2 Leave a comment on paragraph 2 1 Dieser Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Version eines Buchkapitels von Moskaliuk (2008).
¶ 3 Leave a comment on paragraph 3 4 Wikis sind Werkzeuge, um die gemeinsame Konstruktion von Wissen zu ermöglichen und zu fördern. Zentral ist die Frage, unter welchen Bedingungen der Einsatz von Wikis Erfolg verspricht und welche psychologischen, pädagogischen oder soziologischen Theorien sich als Rahmenmodelle eignen. Deswegen stelle ich im Folgenden den Mehrwert von Wikis aus einer theoretischen Perspektive dar und versuche daraus Konsequenzen für pädagogisches Handeln abzuleiten.
¶ 4 Leave a comment on paragraph 4 1 Zunächst wird die konstruktivistische Theorie von Piaget (1977) beschrieben, der qualitative Veränderung kognitiver Schemata im Laufe der Entwicklung eines Individuums annimmt und die ablaufenden kognitiven Prozesse näher definiert. Eingegangen wird außerdem auf die Theorie von Wygotski (1986), für den die soziale Interaktion zwischen den Lernenden eine wesentliche Bedeutung hat. Vorgestellt wird die Weiterentwicklung dieser Konzepte im Knowledge-Building– Modell und im Ansatz der Cognitive Apprenticeship. Kurz referiert wird ferner die Theorie sozialer Systeme von Luhmann (1984), die sich auf die Wissenskonstruk- tion mit Wikis übertragen lässt, wenn das Wiki und die dazugehörende Community als soziales System verstanden wird. Außerdem wird das Modell von Cress und Kimmerle (2008) vorgestellt, das beide Sichtweisen integriert und Lernen als Ko-Evolution von Wissens- und Informationsraum beschreibt. Zum Abschluss werden die intrinsische Motivation und das persönliche Interesse als wesentliche motivationale Faktoren dargestellt.
1 Konstruktivismus: Lernen als aktive Konstruktion von Wissen
¶ 5 Leave a comment on paragraph 5 1 Ein immer noch großer Teil der in Schulen eingesetzten Lehrmethoden bedient sich des sprichwörtlichen Nürnberger Trichters, um Wissen im Frontalunterricht «einzutrichtern» Damit verbunden ist letztlich die Annahme, dass es zwischen einzelnen Menschen teilbare Erfahrung gibt, Wissen als Erkenntnis also unabhängig von eigenen Erfahrungen weitergegeben und gelernt werden kann. Dem widerspricht der erkenntniskritische Ansatz des Konstruktivismus, indem er davon ausgeht, dass sich Lernende eine eigene Repräsentation der Umwelt schaffen. Das, was gelehrt wird, entspricht nicht dem, was tatsächlich gelernt wird, sondern hängt auch von den Lernenden und ihren jeweiligen Erfahrungen ab. Daher wird nicht der Begriff «Lernen» oder «Wissenserwerb» verwendet, sondern der Begriff «Wissenskonstruktion». Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass neue Erfahrungen für das einzelne Individuum immer die Konstruktion von Wissen bedingen, unabhängig davon, ob anderen das Wissen bereits zugänglich war. Eine Übertragung oder ein Eintrichtern von Wissen ist unabhängig von eigenen Erfahrungen und der damit verbundenen Konstruktion der Umwelt nicht denkbar. Nur ein aktives Auseinandersetzen mit neuen Inhalten, Erfahrungen und Anregungen von außen führt zu einer Integration in vorhandene Wissensstrukturen.
2 Der Ansatz Piagets: Störung erwünscht
¶ 6 Leave a comment on paragraph 6 1 Theoretischer Ansatz: Zentral für den Konstruktivismus ist der Ansatz Jean Piagets (1977). Er nimmt eine ständige Veränderung kognitiver Schemata im Laufe der Entwicklung des Menschen an. Ein kognitives Schema strukturiert und vereinfacht die Umwelt. Es ist die typische Art und Weise eines Menschen, die Umwelt zu verstehen, eine unbewusste mentale Struktur, die alle Erfahrungen eines Einzelnen mit der Umwelt organisiert (Bartlett, 1932). Ein Schema kann formal beschrieben werden als die Summe der einzelnen Wissenseinheiten zu einem bestimmten Thema oder Sachverhalt und die Beziehung der einzelnen Einheiten untereinander. Beispiele für kognitive Schemata sind Handlungsschemata (z. B. Werfen oder Klopfen) oder Schemata als Hilfe zur Klassifikation von unterschiedlichen Gegenständen (z. B. Gegenstände zum Werfen, Gegenstände zum Klopfen). Kognitive Schemata ordnen und strukturieren die Umwelt und erleichtern die Speicherung und den Abruf von Wissen (Rumelhart, 1980). Sie reduzieren die Komplexität der Umwelt. Unter Konstruktion der Umwelt versteht Piaget die Interpretation von Umwelterfahrungen mithilfe vorhandener Schemata einerseits und die Entwicklung kognitiver Systeme über die Zeit andererseits. Dabei werden vorhandene Schemata immer flexibler angewendet, verändert und angepasst.
¶ 7 Leave a comment on paragraph 7 2 Wie kommt es nun zur Konstruktion von Wissen, also zur Veränderung und Anpassung kognitiver Schemata? Piaget geht davon aus, dass Menschen bestrebt sind, sich stets in einem kognitiven Gleichgewicht zu befinden. Wird dieses Gleichgewicht durch neue Umwelteindrücke gestört, entsteht ein kognitiver Konflikt, der gelöst werden muss. Dann passen die eigenen kognitiven Schemata nicht mehr zu den Erfahrungen, die ein Mensch mit seiner Umwelt macht, und erfordern so eine Anpassung an die Umwelt. Die Störung der kognitiven Schemata von außen löst also die Konstruktion von Wissen aus. Neues Wissen muss in vorhandenen Schemata integriert werden, oder die vorhandenen Schemata müssen angepasst und weiterentwickelt werden.
2.1 Konsequenzen für den Einsatz von Wikis
¶ 8 Leave a comment on paragraph 8 4 Die Idee des kognitiven Konflikts als Auslöser für Wissenskonstruktion lässt sich auf den Einsatz von Wikis im Unterricht übertragen: Wenn Schülerinnen und Schüler in einem Wiki Informationen lesen, die nicht zu ihrem eigenen Vorwissen passen, ist das kognitive Gleichgewicht gestört. Sie werden angeregt, ihr eigenes Wissen neu zu strukturieren oder anzupassen, oder aber das Wiki zu verändern und anzupassen. Anders als beim Lesen eines Buches haben die Lernenden die Möglichkeit, sich aktiv an der Konstruktion von Wissen zu beteiligen. Damit ändert sich auch die Rolle der Lehrenden. Sie sind nicht mehr nur Vermittler von Lernstoff, die den Stoff didaktisch aufbereiten und mit geeigneten Methoden ‹lehren‹. Sie müssen ein Umfeld bereitstellen, in dem das Erleben und Lösen von kognitiven Konflikten möglich ist. Dazu gehört, ein Unterrichtsklima zu schaffen, das die kritische und aktive Auseinandersetzung mit Inhalten fördert. Ein Wiki ist dann ein Werkzeug, das kognitive Konflikte erzeugt und deutlich macht (z. B. indem es gezielt Informationen bereitstellt, die über bereits Gelerntes hin- ausgehen oder Neues und Widersprüche enthalten), und gleichzeitig eine Plattform, um sich aktiv mit den entstandenen Konflikten auseinanderzusetzen und sie zu lösen.
3 Der Ansatz Wygotskis: Lernen als sozialer Prozess
¶ 9 Leave a comment on paragraph 9 1 Theoretischer Ansatz: Ein weiterer wichtiger Vertreter des Konstruktivismus ist der russische Psychologe Lew Semjonowitsch Wygotski, für den die soziale Interaktion zwischen den Lernenden eine wesentliche Bedeutung besitzt: Wissen wird sozial konstruiert. Selbst Denken ist nach Wygotski als sozial zu verstehen und reflektiert die Kultur, in der die Individuen interagieren (Wygotski, 1986). Lernende wachsen langsam in eine Wissenskultur hinein. Sie können schwierige Aufgaben und Probleme zunächst nur mithilfe anderer lösen und konstruieren erst mit der Zeit eigene kognitive Schemata, um die Umwelt zu verstehen. Bei Wygotski wird Wissen also in der Interaktion mit anderen Individuen konstruiert. Das konstruierte Wissen ist dabei zunächst immer an den jeweiligen Kontext gebunden, in dem es erworben wurde. Wissen ist nicht abstrakt als richtig oder falsch vorhanden, sondern abhängig vom sozialen und physikalischen Kontext.
¶ 10 Leave a comment on paragraph 10 1 Eine konsequente Weiterentwicklung des Ansatzes von Wygotski sind die Arbeiten von Scardamalia und Bereiter (2006). Mit dem Schlagwort Knowledge Building beschreiben die Autoren die Konstruktion von neuem Wissen in einer Wissensgesellschaft. Sie unterscheiden Lernen als internalen und nicht beobacht- baren Prozess von Knowledge Building als Schaffen und Modifizieren neuen Wissens, das sozial geteilt ist und situiert entsteht. Knowledge Building geschieht dabei immer dann, wenn die Grenzen des Wissens einer Community erreicht werden, also zum Beispiel eine Schulklasse ein Naturphänomen nicht mehr mit den ihr bekannten Konzepten erklären kann. Scardamalia und Bereiter ziehen hier Vergleiche mit einer wissenschaftlichen Community, die neues Wissen generiert und sozial teilt. Sie betrachten diese Form des konstruktivistischen Lernens als Idealform für alle Stufen einer schulischen und beruflichen Ausbildung.
¶ 11 Leave a comment on paragraph 11 0 Auch der Ansatz der Cognitive Apprenticeship (Collins, Brown & Newman, 1989) ist in der Tradition Wygotskis zu verstehen. Hier wird der Erwerb von kognitiven Fähigkeiten mit dem Erwerb von Können in der handwerklichen Ausbildung verglichen. Die Autoren übertragen diesen Ansatz auf schulisches Lernen und postulieren, dass auch der Erwerb kognitiver Fähigkeiten nur im sozialen Kontext erfolgen kann. Durch die Beobachtung von Fortgeschrittenen sowie Expertinnen und Experten und das vom Coaching eines Lehrenden und dem Aus- tausch mit anderen begleitete Arbeiten erwerben die Schüler und Schülerinnen Kompetenzen zur Bewältigung komplexer Anforderungen.
¶ 12 Leave a comment on paragraph 12 6 Konsequenzen für den Einsatz von Wikis: Ein Wiki kann soziale Prozesse der Wissenskonstruktion fördern. Es bindet die Kooperation an das gemeinsame Arbeiten mit dem Text im Wiki. Über das Wiki hat der Lernende Zugriff auf das Wissen der gesamten Community. Unabhängig von der tatsächlichen Anwesenheit anderer kann so Wissen abgerufen werden, das hilft, Probleme zu lösen, die über die eigenen Fähigkeiten hinausgehen, und damit die Umwelt besser zu verstehen. So entsteht um das Wiki eine Lerngemeinschaft, die gemeinsam Wissen konstruiert. Die Offenheit und Flexibilität eines Wikis bieten die Möglichkeit, dass sich jeder mit eigenem Wissen in die Community einbringen kann und Anknüpfungspunkte für das eigene Wissen im Wiki findet. Die Teilnehmenden einer Gemeinschaft können neuen Mitgliedern helfen, selbst Teil der Lerngemeinschaft zu werden. Ein neues Mitglied kann z. B. zunächst nur offensichtliche Schreibfehler korrigieren oder nur lesend partizipieren und darf dann nach und nach selbst neue Texte schreiben. So wächst der Lernende langsam in die Community hinein. Um das Wiki herum muss eine Lerngemeinschaft entstehen, in der soziale Prozesse der Wissenskonstruktion stattfinden und so individuelles Lernen gefördert wird. Lernen adressiert damit sowohl die Entwicklung von individuellem Wissen als auch die Entwicklung von Wissen auf der Ebene der Gemeinschaft.
4 Die integrative Sichtweise: Wissenskonstruktion als Ko-Evolution
¶ 13 Leave a comment on paragraph 13 0 Theoretischer Ansatz: Die Systemtheorie Luhmanns (1984) fokussiert auf Systeme und deren Dynamik. Systeme unterscheiden sich durch ihren charakteristischen Operationsmodus. Der Operationsmodus eines sozialen Systems ist die Kommunikation. Ein System ist ferner selbstreferenziell, also auf sich selbst bezogen. Es versteht seine Umwelt auf Basis bisheriger Operationen. Damit sichert sich ein System unabhängig von den darin enthaltenen Elementen seinen dauernden Fortbestand. Luhmann nennt diese Eigenschaft Autopoiesis. Systeme existieren nur, weil sie operieren und sich an einzelne Operationen weitere Operationen anschließen können und sich so das System ständig weiterentwickelt. Die Kommunikation eines sozialen Systems bezieht sich dabei nur scheinbar auf die Umwelt, letztlich referenziert ein System nur auf seine jeweils eigene Wahrnehmung bzw. Abbildung der Umwelt. Aus Sicht eines Systems ist die Umwelt immer komplexer und chaotischer als das System selbst.
¶ 14 Leave a comment on paragraph 14 1 Cress und Kimmerle (2008) wenden die Systemtheorie Luhmanns nun auf die Wissenskonstruktion mit Wikis an und integrieren die konstruktivistische Sichtweise. Sie unterscheiden zwei Systeme, den Informationsraum (Info-Space) mit den Inhalten des Wikis und der dazugehörenden Community sowie den Wissensraum (Knowledge-Space) als das Wissen einer Person. Der Wissensraum beinhaltet dabei alle kognitiven Schemata einer Person, im Informationsraum sind Informationen strukturiert als Texte, Tabellen, Bilder oder Videos gespeichert. Relevant für die Konstruktion von Wissen sind die Austauschprozesse zwischen dem Wissensraum einer Person und dem Informationsraum des Wikis. Cress und Kimmerle nehmen zwei Austauschprozesse zwischen den beiden Systemen an: Die Externalisierung von Wissen aus dem Wissensraum einer Person in den Informationsraum Wiki und die Internalisierung von Informationen aus dem Informationsraum Wiki in den Wissensraum einer Person. Bei der Externalisierung wird ein Wiki-Artikel zu einem Thema mit eigenem Wissen ergänzt und verändert. Dadurch entwickelt sich der Informationsraum Wiki weiter. Gleichzeitig setzt die Externalisierung eigenen Wissens aber auch eine tiefere Verarbeitung und Auseinandersetzung mit vorhandenen Wissensstrukturen voraus: Eine Person lernt. Bei der Internalisierung von Informationen aus dem Wiki werden die im Wiki vorhandenen Informationen verarbeitet und in die eigenen Wissensstrukturen integriert. Dadurch entstehen im Wissensraum der Person neue Wissenseinheiten und neue Verknüpfungen zwischen Wissenseinheiten. Es werden neue Schemata gebildet. Eine Person lernt. Die Prozesse der Externalisierung und Internalisierung von Wissen können als Ko-Evolution des Wissens- und des Informationsraumes beschrieben werden. Beide Systeme beeinflussen sich und entwickeln sich so weiter.
¶ 15 Leave a comment on paragraph 15 2 Konsequenzen für den Einsatz von Wikis: Ein Wiki ist im Sinne Luhmanns als ein soziales System zu verstehen. Als Informationsraum umfasst es das von den Mitgliedern der Community externalisierte Wissen. Der Operationsmodus eines Wikis ist die schriftliche Kommunikation. Dadurch wird ein Austausch mit der Umwelt ermöglicht. Der Nutzer eines Wikis muss sich also dem Operationsmodus anpassen, um Teil des Systems werden zu können. Der binäre Code, mit dem das Wiki operiert, ist dann passt/passt nicht oder wahr/unwahr. Neue Informationen werden also immer auf dem Hintergrund der schon im Wiki vorhandenen Informationen verstanden, schon im Wiki vorhandene Inhalte entscheiden über die Aufnahme neuer Inhalte. Nimmt man eine systemische Perspektive ein, ist also die Grenze zwischen zwei Systemen, dem Informationsraum Wiki und dem Wissensraum einer Person, relevant. Hier findet die Externalisierung von Wissen in das Wiki und die Internalisierung von Informationen in den Wissensraum einer Person statt. Wissenskonstruktion mit Wikis muss als ein dynamischer Prozess verstanden werden, bei dem sich das Wissen der einzelnen Lernenden und die Inhalte in einem Wiki gegenseitig beeinflussen und so gemeinsam weiterentwickeln. Dabei führt sowohl das Lesen der Inhalte in einem Wiki (Internalisierung) als auch das aktive Mitschreiben an den Inhalten (Externalisierung) zu individuellem Lernen.
4.1 Motivation und Interesse
¶ 16 Leave a comment on paragraph 16 1 Neben den beschriebenen kognitiven und sozialen Aspekten und dem Versuch Wissenskonstruktion mit Wikis aus einer systemischen Perspektive zu beschreiben, sollen zum Abschluss motivationale Aspekte adressiert werden. Vor allem die intrinsische Motivation und das persönliche Interesse an den Lerninhalten sind wesentliche Faktoren für den Erfolg von Wissenskonstruktion. Auch wenn beide Faktoren innerhalb eines schulischen Curriculums nur in begrenztem Maße zu beeinflussen sind, lohnt ein Blick auf die theoretischen Ansätze und ihre Konsequenzen in Bezug auf den Einsatz von Wikis.
¶ 17 Leave a comment on paragraph 17 4 Theoretischer Ansatz: Intrinsische Motivation kann beschrieben werden als ein von innen kommendes Bedürfnis, bestimmte Dinge zu tun. Deci und Ryan (1993) schlagen drei Grundbedürfnisse als Grundlage von Motivation vor: Das Bedürfnis nach Eingebundenheit, das Bedürfnis nach Kompetenz und das Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Menschen haben das Grundbedürfnis, sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen und sozial eingebunden zu sein. Sie möchten sich als selbstwirksam wahrnehmen, also das Gefühl haben, kompetent und effektiv auf die eigene Umwelt Einfluss nehmen zu können. Außerdem möchten sie autonom und selbstbestimmt handeln und reagieren können. Sind diese drei Bedürfnisse befriedigt, sind Menschen intrinsisch motiviert. Zentral für die intrinsische Motivation ist das gegenstandspezifische Interesse an den Lerninhalten (Krapp, 2001). Wer ein Thema persönlich relevant findet und sich dafür interessiert, wird sich intensiver damit auseinandersetzen. Ob sich Lernende also als selbstbestimmt handelnd, kompetent und sozial eingebunden erleben, hängt auch von der Wahl eines interessanten Themas durch die Lehrkraft ab.
4.2 Konsequenzen für den Einsatz von Wikis
¶ 18 Leave a comment on paragraph 18 5 Schülerinnen und Schüler, die intrinsisch motiviert sind, werden sich regelmäßig und aktiv an einem gemeinsamen Wiki beteiligen. Dazu ist eine selbstbestimmte Beteiligung am Wiki eine wichtige Voraussetzung. Notwendig sind genügend Freiräume und Gestaltungsspielraum bei der Arbeit mit dem Wiki und die Überzeugung der Lernenden, dass das eigene Wissen relevant für die anderen Beteiligten ist. Auch wenn festgelegte Curricula hier gewisse Grenzen setzen, kann eine Offenheit für die Interessen der Lernenden die intrinsische Motivation auch für andere Themen wecken. Ist das Wiki offen für das individuelle Auswählen von Themenschwerpunkten oder das Einbringen eigener, außerschulischer Erfahrungen, kann das Interesse, sich zu beteiligen, steigen. Auch die Offenheit nach außen, dass z. B. andere Interessierte Zugriff auf das Wiki haben, kann die Motivation der Schülerinnen, sich zu beteiligen, steigern (siehe den Beitrag von Sandra Hofhues). Die Herausforderung besteht darin, trotz fester Leistungsvorgaben für Schülerinnen und Schüler eine selbstbestimmte Mitarbeit an einem Wiki zu ermöglichen und Freiräume für das Setzen persönlicher Themenschwerpunkte zu bieten.
5 Fazit
¶ 19 Leave a comment on paragraph 19 2 Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Ansätze, die die Wissenskonstruktion mit Wikis theoretisch beschreiben. Dabei habe ich versucht, aus den theoretischen Ansätzen konkrete Konsequenzen für den Einsatz von Wikis im Unterricht zu ziehen: Ein Wiki kann das Entstehen von kognitiven Konflikten ermöglichen und bietet eine Plattform, auf der diese Konflikte deutlich werden und zugleich gelöst werden können. Dabei ist die um das Wiki bestehende Community (also z. B. eine Schulklasse), die gemeinsam an den Inhalten arbeitet, wesentlich, um soziale Prozesse der Wissenskonstruktion zu fördern. Schließlich kann die Wissenskonstruktion mit Wikis als ein dynamischer Prozess verstanden werden, bei dem sich das Wissen der einzelnen Lernenden und die Inhalte im Wiki gegenseitig beeinflussen. Ist genügend Raum für eine selbstbestimmte und von Interesse geleitete Mitarbeit der einzelnen Schülerinnen und Schüler vorhanden, kann das positive Auswirkungen auf die Motivation haben, sich zu beteiligen.
¶ 20 Leave a comment on paragraph 20 0 Die hier vorgestellten theoretischen Überlegungen bauen eine Brücke zu konkreten didaktischen Konzepten für den Einsatz von Wikis im Unterricht. Die Auseinandersetzung mit psychologischen, pädagogischen oder soziologischen Theorien schärft den Blick für die Potenziale, die im Einsatz von Wikis im Unterricht liegen. Dadurch verändern sich die Bedeutung von Lehrmaterial sowie die Rolle von Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern im Lernprozess. Lernen wird zu einem aktiven, in eine Wissensgesellschaft eingebetteten Prozess der gemeinsamen Konstruktion von Wissen.
Literatur
¶ 21 Leave a comment on paragraph 21 0 Bartlett, F. (1932). Remembering. Cambridge: University Press Cambridge.
¶ 22 Leave a comment on paragraph 22 0 Collins, A., Brown, J. & Newman, S. (1989). Cognitive apprenticeship: Teaching the crafts of reading, writing, and mathematics. In: Resnick, L. B. (Ed.). Knowing, learning, and ins- truction: Essays in honor of Robert Glaser. Hillsdale: Lawrence Erlbaum Association, pp. 453–494.
¶ 23 Leave a comment on paragraph 23 0 Cress, U., & Kimmerle, J. (2008). A systemic and cognitive view on collaborative knowledge building with wikis. International Journal of Computer-Supported Collaborative Learning, 3(2), pp. 105–122.
¶ 24 Leave a comment on paragraph 24 0 Deci, E. & Ryan, R. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39. S. 223–238.
¶ 25 Leave a comment on paragraph 25 0 Krapp, A. (2001). Interesse. In: Rost, D. (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie Band 2. Weinheim: Psychologie Verlags Union. S. 286–294.
¶ 26 Leave a comment on paragraph 26 0 Luhmann, N. (1984). Soziale Systeme. Frankfurt: Suhrkamp Verlag.
¶ 27 Leave a comment on paragraph 27 0 Moskaliuk, J. (2008). Wissenskonstruktion mit Wikis aus konstruktivistischer und systemtheore- tischer Sicht. In: Moskaliuk, J. (Hrsg.), Konstruktion und Kommunikation von Wissen mit Wikis. Boizenburg: Verlag Werner Hülsbusch. S. 51–68.
¶ 28 Leave a comment on paragraph 28 0 Piaget, J. (1977). The development of thought: Equilibration of cognitive structures. New York: Viking Press.
¶ 29 Leave a comment on paragraph 29 0 Rumelhart, D. (1980). Schemata: The building blocks of cognition. In: Spiro, R. J. (Ed.), Theore- tical Issues in Reading Comprehension. Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum, pp. 33–58.
¶ 30 Leave a comment on paragraph 30 0 Scardamalia, M. & Bereiter, C. (2006). Knowledge building: Theory, pedagogy, and technology. In: Sawyer, K. (Ed.). The Cambridge Handbook of the Learning Sciences. New York: Cam- bridge University Press, pp. 97–115.
¶ 31 Leave a comment on paragraph 31 0 Wygotski, L. S. (1986). Denken und Sprechen. Frankfurt: Fischer Taschenbuch-Verlag.
Die Einbettung in die Theorie ist relativ gut nachvollziehbar. Allerdings finde ich schade, dass es nicht auf mögliche auftauchende Probleme eingeht. Was ist z.B. mit Schülern mit Lernschwäche? Und welches genau ist die Rolle des Lehrers? Könnte es nicht auch sein, dass es Schüler gibt, die vielleicht zwar intrinsisch motiviert sind, sich an der Erarbeitung einer Wiki zu beteiligen, aber denken, es interessiere doch niemanden oder Angst davor haben, etwas falsches zu machen? Wie steht es mit der Anonymität? Vielleicht stelle ich hier fragen, die in anderen Kapiteln beantwortet werden… Es sind aber Punkte, die mir beim Lesen durch den Kopf gegangen sind.
Grundsätzlich klingt die Idee mit einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern mit Hilfe von einem Wiki ein Thema gemeinsam zu erarbeiten sehr interessant. Ich denke, dass es für Schülerinnen und Schüler sehr interessant und motivierend sein kann, wenn sie selber für das Wiki, das zum Lernen dient, mitverantwortlich sind und dieses auch aktiv mitgestalten können. Meiner Ansicht nach eignet sich dieser Weg zu lernen jedoch nicht für alle Unterrichtsthemen. Denn nicht alle Inhalte können von Schülerinnen und Schülern erarbeitet werden. Gut geeignet sind Wikis von mir ausgesehen beispielsweise in diesem Kontext für Schülerinnen und Schüler zum erarbeiten von einfachen Sachverhalten im Bereich Mathematik und Physik. Es wäre denkbar den Kindern die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen und sie dann alleine forschen und dokumentieren lassen. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen wie andere Themen, zum Beispiel aus dem Bereich Geschichte oder Biologie, mit Hilfe von Wikis bearbeitet werden sollten. Ich nehme an bei solchen Themen ginge es oft nur darum, wer am schnellsten in einem Buch oder dem Internet die Antwort gefunden hätte. Abgesehen vom Thema müsste auch die Klasse geeignet sein um mit Wikis Wissen zu konstruieren. Ich nehme an, dass die Klasse möglichst über ein homogenes Leistungsniveau verfügen sollte. Denn sonst besteht die Gefahr, dass schwächere Schülerinnen und Schüler nicht von dieser Lernmethode profitieren können oder sich sogar ausgeschlossen fühlen, da sie zwangsläufig weniger an der Gestaltung des Wiki beteiligt wären.
Als ich während meiner Ausbildung zum Kaufmann (2002 – 2005) zum ersten mal von der Wikipedia gehört habe, war sie als Quelle noch nicht etabliert. Mir war dazumal auch die Idee dahinter noch nicht bewusst. Weil ich von zuhause her nur den Brockhaus als Nachschlagewerk gekannt hatte, hätte ich die Idee wohl auch noch nicht ernst nehmen können. Für schriftliche Arbeiten in der Schule, habe ich wenn ich nicht Bücher aus der Bibliothek geliehen habe, direkt mit div. Suchmaschinen zum Thema recherchiert. Wenn ich zurückdenke, war dies aber ziemlich umständlich, und ich war mir nie sicher auch wirklich eine verlässliche Quelle vor mir zu haben.
Heute schreibe ich zwar nicht aktiv an der Wikipedia mit, doch ist es meine erste Wahl um unbekannte Begriffe beim Lernen nachzuschlagen oder auch um mir einen Überblick über andere Themen zu verschaffen. Als angehende Lehrperson habe ich mich im Studium bereits mit verschiedenen Theorien zum Lernen auseinandergesetzt. Dieses Kapitel hat mir den Zusammenhang einzelner dieser Theorien mit dem Wiki-System aufgezeigt und verdeutlicht auch das Potential, dass diese Art von Zusammenarbeit im Schulunterricht bietet.
Ich finde es vor allem Sinnvoll das Thema „Wikis“ mit meinen zukünftigen Schülern kritisch zu durchleuchten und kann mir gut vorstellen mit ihnen für ein geeignetes Lerngebiet mit einem klasseninternen Wiki zu arbeiten.
Comment awaiting moderation
Danke für die Rückmeldung!